Der Begriff Leitkultur wurde durch den Politikwissenschaftler Bassam Tibi 1996 eingeführt und als „europäischer Konsens“ über die Werte der Demokratie, des Laizismus, der Aufklärung, der Menschenrechte und der Zivilgesellschaft definiert. Zu Beginn der 2000er Jahre trat der Begriff in der Debatte um Migration und Integration in Deutschland auf und ist seitdem umstritten. Besonders konservative Politiker*innen fordern von Migrant*innen und ihren Nachfahr*innen ein Bekenntnis zu einer „deutschen Leitkultur“, deren Existenz wissenschaftlich nicht belegt werden kann. Dabei gehen sie von einer allgemeinen deutschen Kultur und einem Wertekonsens aus, der oft als „christlich-abendländisch“ bezeichnet wird. Der Forderung eines Bekenntnisses zu einer deutschen Leitkultur liegt ein statisches Verständnis von Kultur zugrunde, das von einer einheitlichen deutschen Kultur oder Lebens- und Denkweise ausgeht. Die heterogenen Lebens- und Denkweisen in Deutschland haben sich hingegen seit Jahrhunderten aus diversen Einflüssen entwickelt, während die Idee einer deutschen „Leitkultur“ eine neue Konstruktion ist.